Grigori Bjelych — Leonid Pantelejew
SCHKID
DIE REPUBLIK DER STROLCHE
DIE ERSTEN TAGE
In der Alt-Petershofer Allee in Leningrad steht zwischen Hunderten von Mietshäusern ein unauffälliges, dreistöckiges, verwittertes Haus, das sich nach der Revolution in die „Republik Schkid“ verwandeln sollte. In den Jahren vor der Revolution war da eine Handelsschule, deren Lehrer später samt den Schülern verschwanden.
Wind und Regen hatten an den schwindsüchtig graugelben Wänden der verödeten Schule genagt. Frost war ins Haus eingedrungen, war zusammen mit schimmliger Feuchtigkeit durch die stillen Klassenräume gekrochen und hatte sich in Gestalt von Eiszapfen auf den Bänken niedergelassen.
So stand das ergraute Haus mit tränenden Fenstern da. Die Straße mit ihren Menschenschlangen und vorüberhastenden Passanten schien seine Leere nicht zu bemerken. Niemand hatte wohl auch Zeit dazu. Das Leben pulsierte an anderen Orten: im Sowjet, im Bezirkskomitee, im Konsumladen.
Aber eines Tages dröhnten Schritte durch das stille Gebäude. Leute in Lederjacken — sie trugen Aktenmappen unter dem Arm — besichtigten es, machten sich Notizen und gingen wieder fort. Dann wurde Brennholz angefahren.
Man reparierte die Schornsteine und heizte das Haus. Danach traf der erste Schub von jungen Verwahrlosten ein, die man an allen möglichen Orten aufgelesen hatte.
Während der Revolution, der Hungersnot und des Bürgerkrieges hatten viele Halbwüchsige ihre Eltern verloren und die Familie gegen die Straße, die Schule gegen das Diebeshandwerk eingetauscht. Sie waren drauf und dran, richtige Verbrecher zu werden.
Man mußte sich ihrer unverzüglich annehmen. Hunderte, ja Tausende von leerstehenden, halbzerstörten Häusern wurden in Ordnung gebracht, um den kleinen Banditen Obdach, Verpflegung und Unterricht zu geben.
Sie kamen von überallher. Man holte sie aus den Heimen für „normale“ Kinder, aus Gefängnissen, von Sammelstellen, von den verzweifelten Eltern und aus den Wachstuben der Miliz, wo die bei Razzien auf Spelunken in Haft genommenen Herumtreiber gelandet waren. Eine Kommission des Amtes für Volksbildung sortierte die „Defektiven“ oder „Schwererziehbaren“, wie man die von der Straße verdorbenen Jugendlichen damals nannte, und verteilte die buntgemischte Gesellschaft auf die für sie geschaffenen Heime. Zu diesem Netz von Schulheimen gehörte auch die neugebildete „Dostojewski-Schule für Schwererziehbare“ — nach den russischen Anfangsbuchstaben von ihren Zöglingen später abgekürzt SCHKID genannt. Die Geschichte der Schkid beginnt mit dem Einzug des ersten Schubs jener zügellosen Rangen. Der Auftakt war ein unbeschreibliches Durcheinander. Die dreizehn- bis vierzehnjährigen Straßenjungen rotteten sich im Handumdrehen zusammen und begannen zu randalieren, ohne sich um die Erzieher zu kümmern.